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 K, 83 Jahre

Ein Baum ist so etwas Profanes: Unsere Freunde aus Irkutsk, mit Sprach-Ausbildung in Deutsch und Französisch, wollten um Sylvester 2004/5 von Irkutsk aus in Paris den Jahreswechsel verbringen. Wir besorgten ihnen die Zugverbindung von Pforzheim-Paris-Pforzheim mit dem Schlafwagen. Als sie zurückkamen, brachten sie dieses Bäumchen mit, das heute länger ist als ich.
Meine Idee der Menschlichkeit à la Reuchlin besteht darin, dass ich unsere Freunde nicht dafür leiden lassen will, nur weil ihr Regierungschef einen Krieg mit einem Nachbarland angezettelt hat. Ich will unsere Freunde nicht dafür bestrafen, dass sie eine solche Regierung haben, denn sie wurden nicht gefragt.
Wie froh waren wir, als der Zweiter Weltkrieg vorbei war und wir nicht mit diesem Hitler zusammen in einen Topf geworfen und entsprechend behandelt wurden. Mein Mann war bis 1948 in russischer Gefangenschaft, aber mit den Veteranen in Irkutsk sprach er inhaltlich dieselbe Sprache. Wir haben in unserer gemeinsamen Kultur eine gemeinsame Sprache, die auf Respekt und Menschenliebe, andere sagen Nächstenliebe, beruht. Die Definition der Nächstenliebe haben wir in der Aussage „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, was die Frage aufwirft „wie liebe ich mich selbst?“: frei oder ängstlich? Mutig oder zaudernd? Aggressiv oder nachdenklich? Meine Definition von Menschlichkeit ist die Antwort auf die Frage „Wie liebe ich mich selbst?“.